Expertenstimmen zum Werk Gert Webers
Dr. Angela Wilms-Adrians, Laudatio anlässlich der Ausstellung "Passionen" im Paul-Gerhardt-Haus Düsseldorf, April 2010
"Die evangelische Theologie ist vom Wort geprägt. Und so könnte es als Provokation anmuten, dass hier ein Künstler ausstellt, der von sich sagt: „Ich glaube an die Kraft der Bilder, die letztlich der Worte nicht bedürfen., an die Kraft, die da einsetzt, wo das Wort nicht mehr hinreicht“. Gert Webers Bildsprache aber ist beredtes Zeugnis der belebenden Ausstrahlung einer künstlerischen Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten und –fragen.
Der Künstler wuchs in der ehemaligen DDR auf und war wegen seines klaren Bekenntnisses in seinem Schaffen zwangsläufig von der öffentlichen Kunstkritik und einer Aufnahme in staatliche Sammlungen ausgeschlossen. Der Kirchenraum wurde so nicht nur sein eigentliches Arbeitsfeld, sondern auch eine Art Galerieersatz. Wie viele Musiker und Dichter jenseits der früheren Grenze beteiligte er sich auf diese Weise am geistigen Widerstand gegen eine indoktrinierte Ideologie.
Die hier zu sehenden Arbeiten wie das Gros des Gesamtwerkes dokumentieren eine im wesentlichen gegenständlich orientiere Gestaltung, ohne je realistisch zu sein. Der Künstler benennt klar und eindringlich sein Thema und bleibt an der Figur haften, um seine Inhalte zu transportieren.
Er entfaltet eine expressionistische Bildsprache, die eindrucksvoll Emotionen, Ängste und Leid spiegelt. Im vereinfachenden, teilweise abstrahierenden Gestus und in dynamischer Verdichtung weisen diese Bilder über das Abbildhafte bekannter Motive hinaus. Gert Weber zeigt den leidenden Christus, aber auch das Leid der Menschen, für den er die Passion auf sich nahm. Kantige, von seelischen Narben durchforstete Gesichter entfaltet der Künstler zu Seelenlandschaften. Sein Mitgefühl gehört der seelischen Verwundbarkeit.
Das in manchen Arbeiten auftauchende Motiv des Schädels ist heute noch als Todessymbol vertraut, zur Zeit sogar als modisches Accessoire. Doch für die alten Künstler war der Schädel beim Kreuz ein Hinweis auf Adam, den ersten Menschen der starb und dessen Sterben durch das Kreuz überwunden ist. Ein Künstler, der wie Weber der christlichen Kunst verhaftet ist, reflektiert diese Bedeutung in den Passionsdarstellungen.
r>Mit der Form des Triptychons greift der Maler auf eine gängige Altarform zurück und erinnert im Aufbau eines beherrschenden großen Bildes, flankiert von zwei schmalen Hochformaten an den Klappaltar, dessen prächtige Innenseite für besondere Feiertage vorbehalten blieb.
Weber porträtiert im Zentrum das von Dornen gekrönte Gesicht in beinahe erdrückender Monumentalität und mit durchbohrendem Blick. Der Künstler modelliert die Züge im vibrierenden Miteinander der übereinander gelegten Farben. Eher kühle Blauwerte kontrastieren mit flammend warmen Tönen. Über die expressive und lebendig aufgetragene Farbgebung wirkt das Gesicht voller Lebenskraft, gezeichnet, aber ungebrochen vom Leid. Über Augenbrauen und Nasenwurzel trägt es das Kreuz als Stigma, Mahnmal und überliefertes Symbol. Vom Kopf aus strahlen sprühende Lichtfunken in die Sphäre der Menschen und spiegeln die Worte „Ich bin das Licht“. In radikaler Verkleinerung zum dominierenden Gesicht stellt Weber die Gruppe der Mitleidenden oder Betenden dar. Er überlässt es uns in der Gruppe, die getreuen Anhänger während der Passion oder die Gläubigen aller Zeiten zu erkennen Diese strahlen Ruhe aus, während andere, rasch skizzierte, anonyme Figuren vor der Gottesnähe fliehen.
Die seitlichen Bilder bergen im unteren Bildbereich wiederum das Schädelmotiv, sind aber in aufsteigender Linie von starken Lichtwerten durchdrungen. Wie ausgegossen scheint das Licht im linken Teil segensreich zu kommen. Eine große Blase deutet eine baldige Geburt an. Auf der rechten Seite formiert sich das Licht zum Dreieck, nimmt die Form des Trinitätszeichen für die Einheit von Gottvater, Sohn und heiligen Geist an. Im dynamischen Schwung der Acht umkreisen menschliche Figuren das sphärisch schillernde Lichtdreieck. In diesem Dreieck setzt sich die Kreuzesform schemenhaft ab und korrespondiert motivisch mit der mittleren Tafel. Das Licht verkörpert die Transzendenz der Auferstehung. So verweist die Darstellung vom Karfreitagsgeschehen auf das Osterwunder."
Dr. Winfried Wiegand, Direktor a. D. Meininger Museen
"Seit der Findung seiner künstlerischen Leitlinie am Ende der siebziger Jahre, durch Argwohn und Ablehnung einstiger sozialistischer Kulturhoheit hindurch, erweist Gert Weber bis heute, da seine Kunst auch nicht gerade den Geschmack einer breiten Anhängerschaft bedient seiner Ausgangslage die Treue.
Von Anfang an, ob er malt oder zeichnet, gilt Webers uneingeschränkte Aufmerksamkeit dem Menschenbild. Dabei meidet er jegliche Seichtheit und Schönung, bannt Gestalten auf Leinwand oder Papier, die in ihrer eigenwilligen Wehmütigkeit bis hin zu purer Hässlichkeit von besonders nachhaltiger Wirkung sind.
Weber verehrt den Renaissancemaler Grünewald, wegen seines Vermögens, seelisches und körperliches Leid in eine eindrückliche Bildsprache übersetzt zu haben. Genau dieses Ziel hat sich auch Weber als Künstler gesteckt angesichts einer Zeitlage, in der ein enormes Bedrohungspotential nach wie vor jegliche Existenz gefährdet
Bei der Fixierung psychischer Befindlichkeiten, seiner obersten Schaffensabsicht konzentriert sich Weber zunächst auf die Partie des Kopfes, insbesondere die Landschaft der Gesichter. Die Hände und Teile des Körpers, manchmal bis zum Ganzfigürlichen geführt fügt er nicht selten als Ausdrucksträger hinzu. Oft übermäßig den Bildraum füllend, erbarmungswürdig und schockierend zugleich, geben seine Gestalten alles wieder, was der Künstler an gestörten Seelenzuständen kennt. Zweifel, Wehmut, Angst, Wahnsinn, aber auch Verschlagenheit oder Aggressivität - ein eindringlicher Katalog menschlicher Gefühlslagen, wie sie das Leben im Großen und im Kleinen alltäglich provoziert.
Vielfach regt sich Ur-wüchsig-Kreatürliches von skulpturaler Schwere, die besonders die körperlichen Gesten prägt. Dieses formale Prinzip unterstreicht ein Kolorit von oft erdig-pastoser Konsistenz, während der Duktus des Künstlers - vor allem bei der Zeichnung - von expressiver Manier ist."
Dr. Sieglinde Platz, Weimar, zum Werkezyklus "Blues"
"[...] Innere Sammlung, Aufbegehren, Befreiung - alles in einem ausgedrückt. Auf diese Weise entstanden Werke von beeindruckender künstlerischer Reife, die man nicht im Vorübergehen rezipiert, sondern die den wiederholten Dialog erfordern und die noch im Nachhinein Betroffenheit hinterlassen."
Dr. Maren Kroneck, Saalfeld, zur Vernissage der Ausstellung "Zwiesprache"
"[...] Er hatte versucht, sich in DDR-Zeiten von staatlichen Abhängigkeiten freizumalen und ging den schweren Weg eines Einzelgängers. Bestärkt und auch geprägt wurde er von seinem Lehrer und väterlichen Freund, dem Künstler Werner Schubert-Deister aus Friedrichroda, den Weber als 'moralische Instanz' bezeichnet. [...]
Für seine kritischen Werke gab es schon in den 80er Jahren (illegale) Sammler aus dem Westen [...]
[...] Gert Webers Credo lautet: 'Ich male nicht zum Gefallen. Ich glaube an die Kraft der Bilder, die letztlich der Worte nicht bedürfen; die da einsetzt, wo das Wort nciht mehr hinreicht - tiefer eben und anhaltend, unvermittelt unter die Haut geht.' [...]"
Brief Gerhard Altenbourgs 23.11.1975
Lieber Herr Weber,
gern erinnere ich mich an Ihr Hier sein im August und danke Ihnen für Ihren freundlichen Brief. Den Eindruck, den ich von Ihnen und Ihren Arbeiten hatte, fühlte ich bestätigt durch Ihre Zeilen; und Ihre Einstellung den Erfahrungen gegenüber, sie ist für mich ein Zeichen künstlerischen Menschentums.
Lassen Sie sich auf Ihrem Wege nicht irre machen! Im Verband gibt es sogenannte Künstler, die wesentlich weniger an künstlerischer Eigenart aufweisen. Beim Lesen Ihrer Zeilen wurde ich an einen Ausspruch Gottfried Benns erinnert, der sich wie folgt über den Künstler ausspricht:
„Sie machen sich Feinde, Sie werden allein sein, eine Nussschale auf dem Meer, eine Nussschale, aus der es klirrt mit fragwürdigen Lauten, klappert vor Kälte, zittert vor Ihren eigenen Schauern vor sich selber, aber geben Sie nicht SOS – erstens hört sie keiner und zweitens wird Ihr Ende sanft sein nach soviel Fahrten“.
Das nicht aufgeben ist das Wichtige, das Umwandeln der Schläge, die keinem erspart bleiben, in Kraft für neue Erkenntnisse und neue Wege! Auf diesem Wege grüßen die herüber, die vor uns waren, und der Zuspruch kommt oft über Jahrhunderte. Ihn aufzunehmen, ihn zu verstehen, ihn begreifen zu lernen verknüpft ist das alles mit diesem Dasein, das sich ein Künstlerdasein nennt.
Das wissen um die wahren und wichtigen Dinge des Lebens macht dann frei, frei den Weg zu gehen und sich nicht um die Anfeindungen zu kümmern. Sie sind da die Widerstände- und werden da sein. Das gehört da zu.
Ihnen meine besten Wünsche für eine gute Arbeit! Die Ausstellung in Gotha soll wohl erst im Sommer sein. Dank für Ihre Einladung, zu einem Besuch werde ich gerne kommen.
Ihnen und Fräulein Edda
Salut,
Ihr Altenbourg
Bewertungen in den Feuilletons
Südthüringer Zeitung, 25.07.2003, Michael Truppner: "Gegen die Ignoranz der Welt"
"Weber geht in seinen Bildern existenziellen Fragen auf den Grund. Mit geradezu manischem Eifer nimmt er sich immer wieder den menschlichen Kopf vor. Jedes Gesicht wird ihm dabei zu einer einzigartigen (Seelen-)Landschaft, in die sein Pinsel tiefe Kerben hineinfurcht. In holzschnittartig grober Malweise entwirft er so eindringliche Psychogramme.
Immer sind seine Geschöpfe auf sich selbst zurückgeworfen, einsam und vereinzelt. Ansammlungen von Menschen findet man bei ihm selten. Dies unterscheidet ihn von Werner Tübke, seinem einstigen Lehrmeister. An dessen Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen hat Weber nach seinem Studium zwei Jahre lang mitgemalt. Mit Tübke verbindet ihn die Vorliebe für körperlich und seelisch Geschundene, die meist in seltsamen Posen erstarren. [...]
Webers Bilder berühren tief und nachhaltig. Nichts wirkt in ihnen versöhnlich. Vielmehr drängen sich seine Geschöpfe in all ihrer stummen Zerrüttung dem Betrachter förmlich auf, um so gegen die lärmende Ignoranz der Welt aufzubegehren."
Freies Wort, 19.04.2003, Carola Scherzer: "Musiker und Maler faszinierten"
"Mit schwungvollen Linien begann Gert Weber seine Arbeit zu noch recht harmonischen Klängen. Die Köpfe von zwei gegenüberstehenden Menschengruppen wurden nach und nach erkennbar. Zu schrägsten und schrillsten Saxofonklängen setzte er später beinahe zerstörerische, wilde, expressive Striche auf die Leinwand. Scheinbar völlig ungeordnet, kreuz und quer durcheinander, doch Im Gewirr von Linien und erdigen Farben traten die Konturen der beiden Menschengruppen Immer lebendiger hervor und In der Bildmitte tauchte plötzlich das Gesicht eines Liegenden auf.
Nach einer Stunde war das Werk vollbracht: Der letzte Ton verklungen, der letzte Pinselstrich aufgetragen, Stille im Raum, dann Applaus, als die Künstler vor das Gemälde traten und sich verbeugten, folgten Standingovations. Ein bewegender Moment für alle."
Rheinpost, 24.03.2000, Helga Bittner: "Ein dunkler Schmerz vibriert"
"Dem menschlichen Kopf gilt sein ganzes Interesse. Nicht dem detailgetreuen Abbild eines Antlitzes oder den anatomischen Besonderheiten seiner Form, sondern dem Kopf als Ausdruck innerer Befindlichkeit. Die Menschenbilder des 1951 in Thüringen geborenen Malers Gert Weber haben zumeist etwas Verstörenes. Ein Schrei strömt nicht allein aus dem Mund, sondern erfasst das ganze Gesicht, verzerrt es zu einer Grimasse, in der Augen, Nase, Mund nur zu erahnen sind: man sieht nur den Schmerz, der sich wie eine dunkle Wolke auf das ölbild legt.
[...]
In Webers Bildern steckt nicht nur viel Sinnlichkeit, sondern auch Sensibilität. Sie sind die farbigen Zeugnisse von einem, der immer wieder auszieht, die Welt und die Menschen neu zu sehen."
Thüringische Landeszeitung, 30.08.1996, Kurt Hahn: "Schonungslose Sicht eines Unangepassten" :
"[...] Diese und andere Arbeiten im sakralen Bereich zeugen davon, dass Weber zu DDR-Zeiten infolge seiner nonkonformistischen Haltung kaum andere Möglichkeiten des Wirkens hatte. Im Schatten dieser Tätigkeit wuchs ein malerisches Oeuvre heran, das mittlerweile einen beachtlichen Umfang hat. Auf den vor der politischen Wende entstandenen Bildern haben Berührungs- und Schmerzpunkte mit repressiven Erscheinungen im realsozialistischen System Ausdruck gefunden. Und dies in Sujets und mittels Metaphern, die schlüssig und überzeugend sind: hoffnungslos eingeschachtelte Menschen (Domino), in Verkleidungen und hinter Masken sich Flüchtende (Clowns), in Käfigen hilflos flatternde Vögel..."
SWF3 Mainz, S3 Kultur am 3.8.1991, 18.50 Uhr, Redakteur Theo Schneider zum Bild "Alte Männer":
"[...] Wir sehen sieben ältere Männer, teils mittig plaziert, teils angeschnitten und auf der folgenden Tafel weitergeführt. Sie sind alle verschieden und doch alle gleich. Sieben Prototypen der Gattung abgehalfterte Machthaber. Gleich die Anzüge, gleich das weiße Hemd, gleich die Krawatten. Da stehen sie, verkrümmt und verbittert, und verstehen nicht, dass plötzlich Unrecht sein soll, was vor kurzem noch Recht war. [...] Verschieden und doch gleich die Gesichter. Hinterhältig, auf Gelegenheit zur Rache lauernd der eine. Der andere zerknirscht oder vielmehr Zerknirschung vorspielend, sich leutselig dumm stellend ein dritter. Der nächste mit gastritischer Leichenbittermiene und wieder einer abwartend kalt. So stehen sie da, diese schrecklichen Juristen und Lagerbaumeister, die Menschenverwalter und Staatsterroristen. Und wenn sie lange genug und überzeugend genug Bekehrung und Reue vorgespielt haben, dann werden sie vielleicht ja wieder, das lehrt zumindest die deutsche Geschichte, zu Amt und Würden kommen. Doch auf diesem Bild sind sie wenigstens einmal und wenigstens in der Kunst in ihren falschen Posen entlarvt. [...]"